Verloren im Wald, kein Netz, kein Strom, keine Orientierung, kein Plan – und dann wird es dunkel!
Ich bin grundsätzlich kein überaus ängstlicher Mensch – wenn ich aber in Russland mitten in irgendeinem Wald stehe und nach 4 Stunden wandern absolut keinen Plan mehr habe, wie ich wieder unter Menschen kommen kann, dann werde ich leicht nervös. Leicht nervös ist hier wohl etwas untertrieben, innerlich hatte ich wohl schon eher Panik. Nicht nur, dass wir keine Ahnung hatten, wie wir aus dem Wald rauskommen, der Weg zurück, den wir gekommen waren würde mindestens 2-3 Stunden dauern über steile rutschige Bergwände und die Sonne war bereits hinter den Bergen verschwunden, es würde also maximal eine Studen dauern, bis es zu finster wäre – und zu gefährlich. Die Sache, dass wir kein mobiles Netz hatten in den ‚Bergen‘ und mein Handyakku nur mehr mich verhöhnende 7% angezeigt hat, machte unsere Situation nicht gerade angenehmer. Meine Gedanken schweiften teilweise von ‚wie können wir die Nacht hier draußen verbringen, wie mache ich feuer‘ über ‚würde uns irgendjemand nach Einbruch der Dunkelheit noch finden‘ bis zu ‚Was machen wir, wenn sich einer von uns verletzt, was bei diesen Bodengegebenheiten nicht verwunderlich wäre, und wie kommen wir DANN zurück?‘
Und so kam es überhaupt dazu:
Es war unser erster Tag in Sochi und einer von wenigen schönen und warmen Tagen diese Woche. In der weiteren Umgebung der Stadt gibt es im Wald eine Art Wanderweg zu den Agurski Wasserfällen. Von Einheimischen haben wir erfahren, dass man mit den Bussen und einem Fußmarsch zum Eingang dieses Naturgebietes kommen kann. Am Eingang würde uns angeboten den Plan mit einer Übersicht über die Lage der Wasserfälle zu fotografieren, bis zum ersten Wasserfall wären es nur 5 Minuten, die ganze Strecke bis zum Ende würde etwa 2,5 Stunden dauern. Danach könnten wir zwar wieder zurückkommen, der Weg in die nächste Stadt wäre aber kürzer meinten sie. Meinten sie.
Die Wasserfälle waren wahnsinnig schön und die Natur mit der frischen Luft war wirklich angenehm – die Wege waren aber alles andere als leicht zu passieren. Da es am Tag davor sehr stark geregnet hatte, war alles noch leicht feucht – die nassen Blätter auf den glatten Steinplatten und dazu der rutschige Matsch machten unseren Weg etwas gefährlich. Teilweise auf allen Vieren haben wir uns im steilen Gelände vorwärts gehantelt – dazwischen gab es dann auch immer wieder etwas flachere Stücke, die leicht zum Spazieren waren. Nicht nur einmal sind wir hingefallen oder ausgerutscht – alle in der Hoffnung ohne irgendwelche Verletzungen zurückzukommen. Nach 3-4 Stunden haben worden letzten Wasserfall passiert und dann sollte laut Angaben der Dame am Eingang die Stadt nicht mehr weit sein. Es war mittlerweile schon fast 4 Uhr, es war noch hell, aber die Sonne stand schon beinahe hinter den Bergen – es würde also nicht mehr lange dauern, bis es finster werden würde. Das erste und einzige Schild, das wir auf dem ganzen Weg gesehen haben war hier, es zeigte wieder auf einen Berg hinauf, wir folgten der angegebenen Richtung. Wir waren schon sehr weit geklettert, bis wir zu dem Schluss kamen, dass das unmöglich der Weg zur Stadt könne. Also sind wir dieses steile Stück wieder nach unten – an Bäumen, Wurzeln und allem möglichen habe ich mich festgehalten und dennoch bin ich zweimal am Hintern gelandet. Wir probierten also eine andere Richtung, in der Hoffnung einen richtigen Weg zu finden. Wir landeten auf einer Art Stein/Fels-trasse, die für Autos unbefahrbar war, für uns zu Fuß aber bewältigbar war. Wir wollten nach oben gelangen, um einen Überblick über die Gegend und eventuell eine Straße oder Menschen im Algemeinen zu entdecken. Was wir gesehen haben war zwar ein schöner Ausblick, aber weit und breit kein Haus – nur Bäume:
Etwas verzweifelt (ich zumindest, ich weiß nicht was in den Köpfen der anderen drei vorgegangen ist) habe ich im Kopf schon alle möglichen Szenarien unseres Verbleibs durchgedacht. Wieder unten angekommen haben wir überlegt, auf die Schotterstraße zu laufen und dieser Straße wohin auch immer zu folgen – hoffentlich in die Stadt. Als wir dann Hinter einem Brummen in der Ferne ein Auto vermutet haben, bin ich wie ein Idiot durch den Bach auf die gegenüberliegende Seite zu der Schotterstraße gelaufen, um das Auto nicht passieren zu lassen, ohne uns über unseren Standort zu informieren und eine Auskunft – wohin und wie weit es in die Stadt ist. Als ich das Auto dann wirklich vor mir gesehen habe, sind mir alle Steine, die wir überwunden haben von den Schultern gefallen – wir würden nicht hier übernachten müssen. Es war nämlich mittlerweile schon dämmrig geworden. Die Schotterstraße wäre schon richtig, meinte der Fahrer, aber es würde sehr lange dauern. Er hätte keinen Platz mehr im Auto aber es würde ihm noch ein Auto folgen, wir sollten dort nachfragen.
Das nächste Auto, ein Jeep mit zwei jungen Frauen und einem großen Hund am Rücksitz, wollte uns vier dann auch mit in die Stadt nehmen. „Wenn ihr kein Problem mit Hunden habt, könnt ihr euch gerne hinten reinsetzen“ Ich hätte vermutlich in dem Moment auch mit einer Schlange den Platz geteilt, wenn ich nur irgendwie aus dem Wald rausgekommen wäre 😀

So also testen wir uns die Rückbank zu dritt mit der Bulldoge oder was auch immer das für eine Rasse war, und einern von uns teilte sich den Beifahrersitz mit einer der Damen. Die Fahrt war sehr wild, wir fuhren über alles drüber und durch alles durch, egal was uns im Weg lag. Als wir auf einen Bach zufuhren, meinte die Fahrerin nur kurz „Stemmt die Hand gegen das Dach, damit ihr mit dem Kopf nicht anstößt – wir fahren da jetzt durch“. Nach etwa 15-20 Minuten ließ sie uns dann an einer Bushaltestelle aussteigen (wie lange wir da wohl zu Fuß gegangen wären möchte ich mir gar nicht vorstellen). Voller Schlamm an den Beinen und an den Jacken, dreckigen Schuhen und verschwitzter Kleidung sind wir SCHLUSSENDLICH im Hostel angekommen.
Holy Moly, so einen Tag hatte ich echt noch nie – wirklich nie! Der Muskelkater heute ist noch ein kleines Andenken, das aber bald wieder vergehen wird.